Konzeptgruppe 1: Temporalität und Versicherheitlichung
2. Förderphase (2018-2021)
Das Vorgehen der Konzeptgruppe „Temporalität und Versicherheitlichung“ basiert zum einen auf der Weiterentwicklung der Versicherheitlichungskonzeption im SFB innerhalb der ersten Förderphase, insbesondere in Hinblick auf die Historisierbarkeit des Versicherheitlichungskonzeptes und der Ausarbeitung analytischer Begrifflichkeiten für die historische Rekonstruktion von „Dynamiken der Sicherheit“ (Situationsdefinition, Heuristik, Sicherheitsrepertoire). Zum anderen legt die Konzeptgruppe ihrer Arbeit die Ergebnisse der Konzeptgruppe „Versicherheitlichung und Zukunftsverständnis“ der ersten Förderphase zugrunde (Kampmann/ Marciniak/ Meteling 2017), die zunächst auf die Notwendigkeit einer Erweiterung der Fragestellung von „Zukunft und Versicherheitlichung“ zu „Temporalität und Versicherheitlichung“ hinweisen: Nicht nur Zukunftskonzepte, sondern prinzipiell alle Vorstellungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind im historischen Wandel zu betrachten. Idealtypisch gesprochen handeln Akteure erstens in der Gewissheit, dass die in ihrer Gegenwart getroffenen Entscheidungen die Zukunft beeinflussen, und zweitens in dem Bewusstsein, dass in der Vergangenheit getroffene Entscheidungen die Gegenwart formatieren; Vergangenes kann also auch als Zukünftiges verhandelt werden und wird in Handlungsanweisungen eingeschrieben. Diese Vor- und Rückgriffe finden Eingang in Formen politischer Kommunikation unterschiedlicher Akteursgruppen und unterliegen einem historischen Wandel. Die Akteure verstehen dabei sicherheitsgerichtetes Handeln in der Regel als ordnungsermöglichendes Handeln und objektivieren dies in der politischen Kommunikation als Sicherheitsgewinn. Aus dieser Beobachtung ergibt sich das Interesse der Konzeptgruppe an Formen von Temporalität und für Zeitregime, die innerhalb historischer Gesellschaften ersonnen und kommuniziert wurden, um mit Wandel und zeitlicher Entwicklung umgehen zu können. Im Umkehrschluss vermuten wir, dass sich in widerstreitenden Modalisierungen von Zeit konkurrierende Sicherheitskonzepte niederschlagen. Ein Ausgangspunkt der Arbeit der Konzeptgruppe ist folglich die Parallelität unterschiedlicher, u. U. konkurrierender Zeitmodalisierungen und ihre jeweilige Einschreibung in Situationsdefinitionen, Sicherheitsheuristiken und -repertoires. Adressiert wird dabei auch eine Überlegung aus der ersten Förderphase, die wir unter der Begrifflichkeit des Sicherheitsparadoxes gefasst haben (s. auch Landwehr 2017): die Verfeinerung der Sicherheitsrepertoires mit Blick auf Zukunftsbeherrschung erzeugt in der politischen Kommunikation häufig kein Sicherheits-, sondern vielmehr ein Unsicherheitsgefühl (vgl. Wendland 2017). Es gibt aber andererseits auch Beispiele dafür, dass diese Kommunikation gelingen (vgl. Kampmann 2017) und so langfristig ordnungserhaltend wirken kann. Entsprechend zielt die Arbeit der Konzeptgruppe darauf, Dynamiken (vermeintlich) gelingender Sicherheitskommunikation als Modellierungen von Zeit dingfest zu machen, aber auch Brüche und Widersprüche dieser Prozesse aufzuzeigen. Ein zentraler Fokus richtet sich demzufolge auf das Verhältnis von Versicherheitlichung, Ordnung und verschiedenen Strategien des Zukunftsmanagements. Ordnung kann als wichtiges Element von Sicherheitskonzeptionen und somit auch von Sicherheits-Heuristiken gefasst werden, das jedoch von verschiedenen Akteursgruppen ganz unterschiedlich wahrgenommen, definiert und umgesetzt wird. Gleiches gilt für politische Handlungskonzepte, die dazu dienen, Unsicherheiten der Zukunft auszuschalten und Erwartungssicherheit zu generieren, so z.B. Planung, Risikokalkulation oder auch Prävention. Es gilt, diverse Verschränkungen der Vorstellungen von Sicherheit, Ordnung und Zeitlichkeit, auch mit Blick auf unterschiedliche disziplinäre Wahrnehmungen etwa in den Geschichtswissenschaften und der Soziologie und Politikwissenschaft, systematisch aufzuarbeiten. Gerade die Temporalitätsperspektive erlaubt es dabei, sowohl das Verhältnis von Sicherheit und komplementären Konzepten (Risiko, Prävention etc.) noch intensiver in den Blick zu nehmen als auch das Verhältnis von (Un-)Ordnung und Versicherheitlichung neu zu diskutieren. In der einschlägigen historischen Literatur herrscht beispielsweise die Ansicht vor, dass in der Vormoderne „Unordnung“ fast durchgehend versicherheitlicht worden sei, Ordnung dagegen Sicherheit repräsentiert habe. Es ist die Frage, ob dies zentralen Entwicklungsprozessen gerecht wird, ob nicht an entscheidenden Wegmarken Ordnungen als Sicherheitsproblem wahrgenommen wurden, die – „falsche Sicherheiten“ vermittelnd – um der Sicherheit willen überwunden werden müssten. Dies ist eng verbunden mit der Frage der historischen Rückbindung künftiger Ordnungen, beispielsweise durch Rückbezug auf eine als natürlich deklarierte Ordnung.