Konzeptgruppe 2: Differenz und Intersektionalität
2. Förderphase (2018-2021)
Mit den Aspekten Differenz und Intersektionalität knüpft die Konzeptgruppe an Theoriediskussionen an, die im Rahmen der allgemeinen Sicherheitsforschung noch einer umfassenden Historisierung bedürfen. Als ein Ausgangspunkt dienen hierbei zunächst Intersektionalitätstheorien, die seit den 1980er Jahren die Interdependenzen von Differenzerfahrung, fehlender Rechtssicherheit und Diskriminierung thematisieren (vgl. bspw. Crenshaw 1989; Hardmeier/ Vinz 2007; Purtschert/ Meyer 2010) und dabei den Blick darauf lenken, dass soziale Kategorien nicht isoliert voneinander konzeptualisiert werden, sondern ihre ‚Verwobenheiten’ und ‚Überkreuzungen’, z.B. für Geschlecht, Rasse, Ethnizität, Nation, Klasse, Religion, Alter oder Herkunft, analysiert werden müssen. Ausgehend von diesen Ansätzen möchte die Konzeptgruppe auch jene feministische und postkoloniale Kritik an der Sicherheitsforschung stärker im Sonderforschungsbereich erfassen, die eine Berücksichtigung subalterner Sprechpositionen eingefordert hat, also jene individuellen und kollektiven Akteure in den Blick nimmt, die im Kontext bestehender Machtverhältnisse ihre Sicherheitsanliegen nicht artikulieren können (Spivak 2008; Barkawi et al. 2006).
Ziel der Konzeptgruppe ist es, in Hinblick auf die epochenübergreifende Anwendbarkeit die vielfältigen Mechanismen in den Blick zu nehmen, über die Akteure auf verschiedenen Ebenen Sicherheitshandeln aus Differenzkategorien ableiten. Diese Kategorien werden von der Konzeptgruppe als historisch wandelbar und stark von der Sprechposition abhängig begriffen. Auf dieser Grundlage soll die Konzeptgruppe die empirischen Teilvorhaben danach befragen, welche ‚Differenzlinien‘ (Klinger/ Knapp 2005) von Akteuren im Rahmen von Sicherheitskommunikation überhaupt als relevant erachtet wurden, und ob ihr Sicherheitshandeln an Heuristiken und entsprechenden Routinen zur Herstellung, Wahrung oder auch Infragestellung von Differenz ausgerichtet waren. Dabei wird zum einen zu diskutieren sein, welche Impulse für die Sicherheitsforschung aus der feministischen Perspektive (Hudson 2005; Wibben 2010) gewonnen werden können. In einem weiteren Schritt sollte untersucht werden, welche neuen Rückschlüsse aus diesen Erkenntnissen für die Analyse verschiedener Formen sozialer Differenz und Exklusionsphänomene (erstmals in Narayan 1998; Yeğenoğlu 1998) gezogen werden können. Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit tragen erheblich dazu bei – darauf ist in der Literatur im Untersuchungsfeld der gesellschaftlichen Sicherheit (societal security, vgl. Wæver 1995) bereits mehrfach hingewiesen worden –, dass sich abhängig von staatlichen, kulturellen oder sozioökonomischen Rahmenbedingungen die Sicherheitsbedürfnisse von Frauen erheblich von denjenigen von Männern unterscheiden und die von Minderheiten erheblich von denen der Mehrheit. Die Referenz auf Geschlecht, auf ethnische und sozial-ökonomische Zugehörigkeit stellt daher immer wieder einen Teil einer umfassenden Sicherheitsstrategie dar (Hoogensen/ Vigeland 2004).
Die Konzeptgruppe strebt auf dieser Grundlage an, Sicherheit als vielschichtiges Konzept zu verstehen, das zum einen durch differenzbedingte Interpretationen dynamisiert wird, zum anderen auf Machttopographien beruht, die erneut Differenzen konstituieren und reproduzieren, so dass von ihm im Prozess der Versicherheitlichung auch Exklusionslogiken ausgehen können (Marhia 2013, 20). Dies wiederum eröffnet den Blick auf die Herstellung sozialer Distanz und Indifferenz und daraus abgeleiteten Politiken der Versicherheitlichung ‘unerwünschter Bevölkerungen’ (Basaran 2015, 207). Aus Sicht der historischen Sicherheitsforschung gilt es hier, top-down-Perspektiven nun durch eine Mehrebenenanalyse kritisch zu hinterfragen und aus Sicht betroffener Gruppen und Individuen festzuhalten, welche Folgen für Denken und Handeln sich aus gender- und kulturspezifischen Wahrnehmungen ergeben und welche Überschneidungen von Differenzkategorien dadurch entstehen und sicherheitsrelevant werden können (Knapp 2005). So soll auch für Kontexte sprachlicher und konfessioneller Vielfalt und Differenz das in der ersten Phase des SFB beschriebene Desiderat diskutiert werden, dass sich entlang dieser Differenzlinien spezifische Heuristiken entwickeln, weil Versicherheitlichungsagenden oft spezifischen Wahrnehmungsfiltern unterliegen (Haslinger 2016; vgl. hierzu auch Rindler Schjerve 2007). An dieser Stelle haben sich weiterführende Überlegungen auch deshalb als notwendig erwiesen, da ein Großteil der Sicherheits- und Konfliktforschung den Aspekt des Kulturellen bislang vor allem als Konfliktursache und ‚Streitwert‘ in den Blick genommen hat. Die Konzeptgruppe soll nun den Fokus auf das gleichzeitige Zusammenwirken unterschiedlicher Sicherheitswahrnehmungen richten und das Dilemma adressieren, dass Sicherheit für eine Gruppe oft mit Unsicherheiten für (eine) andere Gruppe(n) verbunden ist. Dies ermöglicht es der Konzeptgruppe wiederum, im Rahmen der seit längerem laufenden Debatten um die Art und Weise der Wechselwirkungen verschiedener Differenzkategorien (Lutz/ Wenning 2001) einen Beitrag zu leisten, der insbesondere herausarbeitet, dass gerade Versicherheitlichung entsprechende Differenzkategorien hervorbringen und verfestigen kann.