Konzeptgruppe 4: Politisierung

2. Förderphase (2018-2021) 

Ein wichtiger Ausgangspunkt für die Entwicklung des Konzepts der Versicherheitlichung durch die Copenhagen School war das Anliegen, das Politische in die Sicherheitsforschung zurückzubringen, indem gezeigt wurde, dass es für die Legitimation politischen Handelns einen Unterschied macht, ob etwas erfolgreich als Sicherheitsproblem definiert wird oder nicht. Für die Kopenhagener Schule ist ein securitizing move stets insofern ein Akt der Politisierung, als mit ihm der Versuch unternommen wird, etwas zum Gegenstand kollektiv bindenden Entscheidens werden zu lassen (Buzan/ Waever/ De Wilde 1998). Im Mittelpunkt des Interesses stehen hierbei im Wesentlichen die politischen Effekte von Versicherheitlichung, die wahlweise als extreme Politisierung oder als Entpolitisierung verstanden werden. Im ersten Fall steht die Dramatisierung politischer Problemlagen im Vordergrund, im zweiten der Umstand, dass im Fall einer erfolgreichen Versicherheitlichung die politische Problemlösung aufgrund fehlender legitimer Alternativen nicht mehr länger öffentlich verhandelt werden muss. Insbesondere soziologische Lesarten von Versicherheitlichung haben dem ein weiteres Verständnis von Entpolitisierung hinzugefügt. Ihnen zufolge besteht ein wesentlicher Effekt von Versicherheitlichung darin, vermeintlich politische Fragen in Routine- und Verwaltungsprobleme zu übersetzen und sie damit einer öffentlichen Kontrolle weitgehend zu entziehen (c.a.s.e. collective 2006).

Neben dieser Konzentration auf die politischen Effekte von Ver- und Entsicherheitlichung ist für die bisherige Debatte um den Zusammenhang von Versicherheitlichung und Politisierung ein stark gegenwartsbezogenes Verständnis von Politisierung charakteristisch. So ist der Politisierungsbegriff in der Diskussion um die normativen Grundlagen der securitization theory nicht zuletzt deshalb in den Mittelpunkt gerückt, weil Versicherheitlichung gemeinhin als Prozess gilt, durch den demokratische Verfahren und öffentliche Debatten unterlaufen oder blockiert werden (Roe 2012; Floyd 2010). Hervorgehoben wurde beispielsweise, dass Versicherheitlichung auf eine Beschleunigung politischer Prozesse und damit auf eine Stärkung politischer Autoritäten hinauslaufe (Huysmans 2004), andere betonten die Rolle von politisch nicht rechenschaftspflichtigen Sicherheitsexperten (Bigo 2008). Auch ein solches Verständnis von Politisierung orientiert sich aber noch an der Verfassungswirklichkeit und dem normativen Selbstverständnis liberaler Nationalstaaten.

Das Ziel der Konzeptgruppe besteht vor diesem Hintergrund darin, dieses demokratiezentrierte Verständnis von Politisierung zu erweitern und in einer historisierenden Perspektive nach Formen und Dimensionen von Politisierung jenseits des liberal-demokratischen Staates zu fragen. Damit ist auch eine Hinwendung zu Ambivalenzen der Politisierung im Kontext von Versicherheitlichung verbunden, die sich als Ergebnis der SFB-internen Diskussionen zeigten und auf die auch in der Literatur aufmerksam gemacht wird. So wurde am Beispiel einzelner Teilprojekte (Versicherheitlichung der Roma in Europa, Versicherheitlichung in antikolonialen Kämpfen) dargelegt, dass eine starke, auf antagonistische Identitäten hinauslaufende Politisierung – etwa des Verhältnisses von Mehr- und Minderheiten oder von kolonialer Fremdherrschaft – selbst als Bedrohung betrachtet und sowohl pazifizierende als auch gewalteskalierende Politiken nach sich ziehen kann. Ebenso kann eine erfolgreiche Entpolitisierung etwa nach Waffenstillständen den Nährboden für spätere securitizing moves bereitstellen (Hansen 2012).

Bei der Fokussierung auf die Ambivalenzen von Politisierung wird am Verständnis des Politikbegriffs des SFB angesetzt, d.h. an Kommunikationsprozessen im Horizont des Strebens nach Herstellung kollektiver Verbindlichkeit. Aus dieser Sicht stellt sich Politisierung als Erweiterung dar: Es geht um ‚mehr‘, d.h. umfassendere, verlässlichere, explizitere Verbindlichkeit. Im Kontext von Versicherheitlichung, so die arbeitsleitende These der Konzeptgruppe, ist Politisierung dabei grundsätzlich ein zweischneidiges Schwert. So kann die Erweiterung der Verbindlichkeitsforderung – beispielsweise im Kontext eines Schutzversprechens für Minderheiten – von den Beteiligten bzw. Betroffenen durchaus als Einbeziehung oder Teilhabe gedeutet werden. Jedoch kann die Erweiterung derselben Verbindlichkeitsforderung umgekehrt auch zu einer ‚Zwangsteilhabe‘ an Versicherheitlichungsprozessen führen, etwa wenn einzelne Gruppen (Geflüchtete, Minderheiten, sozial Marginalisierte etc.) zu einer Gefahr erklärt werden oder wenn Bevölkerungen aufgefordert werden, an Versicherheitlichungsprozessen mitzuwirken (etwa durch ‚Wachsamkeit‘).

Der Begriff der Politisierung wird durch diese Betonung von Ambivalenzen, in Absetzung von der Copenhagen School, von seinen normativen Untertönen abgelöst. Zugleich wird er hierdurch auch in größerer historischer Tiefe anwendbar. So lassen sich Politisierungsprozesse in Bezug auf einzelne, in Versicherheitlichungsprozesse involvierte Gruppen diskutieren, wenn man in Rechnung stellt, dass die Adressaten der kollektiven Verbindlichkeitsforderung bzw. diejenigen Gruppen, die kollektive Verbindlichkeit artikulieren und damit Situationsdefinitionen formulieren, historisch sehr unterschiedliche Gestalt annehmen. Damit variieren auch die Muster von Einbeziehung und Responsibilisierung. Die Konzeptgruppe soll somit auch einen generellen, historisierenden Beitrag zur Klärung der Ambivalenzen des Politischen in Dynamiken der Sicherheit leisten.






Konzeptgruppe 4: Politisierung

2. Förderphase (2018-2021) 

Ein wichtiger Ausgangspunkt für die Entwicklung des Konzepts der Versicherheitlichung durch die Copenhagen School war das Anliegen, das Politische in die Sicherheitsforschung zurückzubringen, indem gezeigt wurde, dass es für die Legitimation politischen Handelns einen Unterschied macht, ob etwas erfolgreich als Sicherheitsproblem definiert wird oder nicht. Für die Kopenhagener Schule ist ein securitizing move stets insofern ein Akt der Politisierung, als mit ihm der Versuch unternommen wird, etwas zum Gegenstand kollektiv bindenden Entscheidens werden zu lassen (Buzan/ Waever/ De Wilde 1998). Im Mittelpunkt des Interesses stehen hierbei im Wesentlichen die politischen Effekte von Versicherheitlichung, die wahlweise als extreme Politisierung oder als Entpolitisierung verstanden werden. Im ersten Fall steht die Dramatisierung politischer Problemlagen im Vordergrund, im zweiten der Umstand, dass im Fall einer erfolgreichen Versicherheitlichung die politische Problemlösung aufgrund fehlender legitimer Alternativen nicht mehr länger öffentlich verhandelt werden muss. Insbesondere soziologische Lesarten von Versicherheitlichung haben dem ein weiteres Verständnis von Entpolitisierung hinzugefügt. Ihnen zufolge besteht ein wesentlicher Effekt von Versicherheitlichung darin, vermeintlich politische Fragen in Routine- und Verwaltungsprobleme zu übersetzen und sie damit einer öffentlichen Kontrolle weitgehend zu entziehen (c.a.s.e. collective 2006).

Neben dieser Konzentration auf die politischen Effekte von Ver- und Entsicherheitlichung ist für die bisherige Debatte um den Zusammenhang von Versicherheitlichung und Politisierung ein stark gegenwartsbezogenes Verständnis von Politisierung charakteristisch. So ist der Politisierungsbegriff in der Diskussion um die normativen Grundlagen der securitization theory nicht zuletzt deshalb in den Mittelpunkt gerückt, weil Versicherheitlichung gemeinhin als Prozess gilt, durch den demokratische Verfahren und öffentliche Debatten unterlaufen oder blockiert werden (Roe 2012; Floyd 2010). Hervorgehoben wurde beispielsweise, dass Versicherheitlichung auf eine Beschleunigung politischer Prozesse und damit auf eine Stärkung politischer Autoritäten hinauslaufe (Huysmans 2004), andere betonten die Rolle von politisch nicht rechenschaftspflichtigen Sicherheitsexperten (Bigo 2008). Auch ein solches Verständnis von Politisierung orientiert sich aber noch an der Verfassungswirklichkeit und dem normativen Selbstverständnis liberaler Nationalstaaten.

Das Ziel der Konzeptgruppe besteht vor diesem Hintergrund darin, dieses demokratiezentrierte Verständnis von Politisierung zu erweitern und in einer historisierenden Perspektive nach Formen und Dimensionen von Politisierung jenseits des liberal-demokratischen Staates zu fragen. Damit ist auch eine Hinwendung zu Ambivalenzen der Politisierung im Kontext von Versicherheitlichung verbunden, die sich als Ergebnis der SFB-internen Diskussionen zeigten und auf die auch in der Literatur aufmerksam gemacht wird. So wurde am Beispiel einzelner Teilprojekte (Versicherheitlichung der Roma in Europa, Versicherheitlichung in antikolonialen Kämpfen) dargelegt, dass eine starke, auf antagonistische Identitäten hinauslaufende Politisierung – etwa des Verhältnisses von Mehr- und Minderheiten oder von kolonialer Fremdherrschaft – selbst als Bedrohung betrachtet und sowohl pazifizierende als auch gewalteskalierende Politiken nach sich ziehen kann. Ebenso kann eine erfolgreiche Entpolitisierung etwa nach Waffenstillständen den Nährboden für spätere securitizing moves bereitstellen (Hansen 2012).

Bei der Fokussierung auf die Ambivalenzen von Politisierung wird am Verständnis des Politikbegriffs des SFB angesetzt, d.h. an Kommunikationsprozessen im Horizont des Strebens nach Herstellung kollektiver Verbindlichkeit. Aus dieser Sicht stellt sich Politisierung als Erweiterung dar: Es geht um ‚mehr‘, d.h. umfassendere, verlässlichere, explizitere Verbindlichkeit. Im Kontext von Versicherheitlichung, so die arbeitsleitende These der Konzeptgruppe, ist Politisierung dabei grundsätzlich ein zweischneidiges Schwert. So kann die Erweiterung der Verbindlichkeitsforderung – beispielsweise im Kontext eines Schutzversprechens für Minderheiten – von den Beteiligten bzw. Betroffenen durchaus als Einbeziehung oder Teilhabe gedeutet werden. Jedoch kann die Erweiterung derselben Verbindlichkeitsforderung umgekehrt auch zu einer ‚Zwangsteilhabe‘ an Versicherheitlichungsprozessen führen, etwa wenn einzelne Gruppen (Geflüchtete, Minderheiten, sozial Marginalisierte etc.) zu einer Gefahr erklärt werden oder wenn Bevölkerungen aufgefordert werden, an Versicherheitlichungsprozessen mitzuwirken (etwa durch ‚Wachsamkeit‘).

Der Begriff der Politisierung wird durch diese Betonung von Ambivalenzen, in Absetzung von der Copenhagen School, von seinen normativen Untertönen abgelöst. Zugleich wird er hierdurch auch in größerer historischer Tiefe anwendbar. So lassen sich Politisierungsprozesse in Bezug auf einzelne, in Versicherheitlichungsprozesse involvierte Gruppen diskutieren, wenn man in Rechnung stellt, dass die Adressaten der kollektiven Verbindlichkeitsforderung bzw. diejenigen Gruppen, die kollektive Verbindlichkeit artikulieren und damit Situationsdefinitionen formulieren, historisch sehr unterschiedliche Gestalt annehmen. Damit variieren auch die Muster von Einbeziehung und Responsibilisierung. Die Konzeptgruppe soll somit auch einen generellen, historisierenden Beitrag zur Klärung der Ambivalenzen des Politischen in Dynamiken der Sicherheit leisten.






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